Saturday 20 February 2016

Das Paradoxon der Freiheit (10) - Ein Vortrag

Fortsetzung des neunten Teils.


Mit seinem Bekenntnis zu sozialstaatlichen Einrichtungen, das er in seinem Opus Magnum Die Verfassung der Freiheit ablegt, hat Friedrich Hayek bei Freund und Feind Verwunderung ausgelöst und sich den Unmut vieler zugezogen, die seiner liberalen Denkweise ansonsten nahe stehen.

Beide Reaktionen sind verständlich, wenn man sich vor Augen führt, wie radikal der minarchistische Liberalismus ist, der Hayeks publizistisches Lebenswerk und sein öffentliches Auftreten dominiert.

Ich habe bereits in der siebten Folge dieses Vortrags angedeutet, dass der radikale Liberalismus die Vernetztheit staatlicher Leistungen insofern verkennt, als selbst punktuelle Konzessionen zugunsten staatlicher Eingriffsrechte („Nachtwächterstaat“, minimaler Sozialstaat) nur durchführbar sind, wenn der Staat über sehr weitreichende Eingriffsmöglichkeiten verfügt. So muss er beispielsweise über einen ausgedehnten und aufwendigen Steuererhebungsapparat verfügen, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft zum Ressourcen-Pooling herangezogen werden sollen. Die Intention, nur geringe staatliche Einmischung zuzulassen, mag sich auf „small government“ reimen. Doch die Durchführbarkeit selbst von nur geringen Eingriffen reimt sich hingegen schon auf „big government“.

Freiheit ist ausgesprochen teuer. Schließlich ist die Gewährleistung der Rechte, die jeder Libertäre vom Nachtwächter-Staat gesichert wissen will, mit gigantischen Kosten verbunden. Das Polizeiwesen, die Gerichtsbarkeit, das Verwaltungswesen, die föderalen und anderen Einrichtungen der Gewaltenteilung u.s.w. – all das verschlingt Unsummen und setzt daher einen mächtigen, umfassend präsenten und weitgehend eingriffsberechtigten Staatsapparat voraus. Small government bedeutet, dass dem Staat die Macht und die Ressourcen fehlen, unsere Freiheitsrechte durchzusetzen.

Ich glaube, das macht sich Hayek nicht bewusst - weder, wenn er den Hut des Befürworters sozialstaatlicher Leistungen aufsetzt, noch wenn er, dem Trugschluss unterliegend, dass Freiheit größtenteils durch Unterlassung und somit sehr kostengünstig zu erzielen sei, als erklärter Minarchist für den umfangreichen Katalog jener Rechte eintritt, die unsere Freiheit ausmachen. 

Für Hayek ist der Staat ebenso leicht für begrenzte Zwecke einzuspannen wie man ihn hinsichtlich grundlegender gesellschaftlicher Einrichtungen dann wieder wegdenken kann. Wie gesagt, seine normative Voreingenommenheit gegenüber dem Staat verleitet ihn dazu, nicht genauer über dessen wirkliche, empirisch greifbare Rolle nachzudenken. Hayek folgt einem doktrinär-normativen Schema, wonach die Teilnahme des Staats an einem gesellschaftlichen Projekt dann beifällig zu beurteilen ist, wenn er nur in geringfügigem Maße oder, besser noch, gar nicht im Spiele ist.

Und so sind die drei Theorien, auf die Hayek besonders stolz ist – jedenfalls verwies er auf sie, als man ihn nach seinen wichtigsten wissenschaftlichen Leistungen fragte – ausdrücklich darauf gerichtet, den Staat, den er qua Bereitsteller sozialer Leistungen als selbstverständlich voraussetzt, aus drei Kernbereichen des gesellschaftlichen Geschehens so weit als möglich auszuschließen. Er tritt für privates Geld ein, er macht Vorschläge, wie das Recht zu einer Privatangelegenheit gemacht werden kann, und versucht, den Staat in seiner politisch-parlamentarischen Ausprägung grundsätzlich daran zu hindern, Gesetze zu erlassen, die seinem minarchistischen Liberalismus widersprechen.



Hayeks drei Theorien in Kürze: Politik und Staat sind ihm zuvörderst Störfaktoren in der spontanen Ordnung einer freien Gesellschaft. Das zeigt sich ihm zum Beispiel bei der gesellschaftlichen Institution Geld. Die zweckmäßigste Form des Geldes sollte laut Hayek durch den natürlichen, spontanen Prozess des Wettbewerbs selektiert und im täglichen Gebrauch geregelt werden. Hingegen erzeugt der Staat politisiertes Geld – Geld, das von allerlei speziellen Interessen beeinflusst – z. B. durch inflationäre Wirtschaftspolitik und krisenerzeugende Zentralbankinterventionen – und damit zweckentfremdet und verdorben wird. Befreit von politisch-staatlichem Missbrauch, kann sich die leistungsfähigste Form des Geldes am Markt und somit im Wettbewerb unterschiedlicher Gelder durchsetzen. Hayek hat keinen Zweifel daran, dass sich im Währungswettbewerb das Geld eines privaten Emittenten gegenüber staatlichem Geld behaupten wird. Die zahlreichen Einwände, die sich gegen diese Überlegungen vorbringen lassen, können nicht im Rahmen dieses Vortrags behandelt werden. Es sei jedoch der Hinweis gestattet, dass vieles dafür spricht, dass Geld ein öffentliches Gut darstellt, welches sich ohne staatliche Federführung kaum bereitstellen lässt. Auch ist völlig unklar, auf welche Weise dafür gesorgt werden soll, dass politische und staatliche Interessen plötzlich ihren Zugriff auf die Geldverfassung verlieren. Für die Zwecke dieses Vortrags ist vor allem aber maßgeblich, dass Hayek seine Geldtheorie als ein Instrument einsetzt, welches vornehmlich dazu dient, den Einfluss des Staats zurückzudrängen. Mehr denn zwingende ökonomische Gründe, so will mir scheinen, ist es dieser Wunsch, den Staat auszuklammern, der seine Theorie motiviert.


Das gleiche Ideal, nämlich den die spontane Ordnung bedrohenden Staat fernzuhalten von wichtigen gesellschaftlichen Vorgängen, finden wir wieder in Hayeks Gedanken über eine Wiederherstellung des privaten Rechts, welche ihm dringend geboten erscheint, nachdem der Staat inzwischen mit seinem Recht, dem öffentlichen Recht, in Bereiche des Lebens hineinwuchert, wo er nichts zu suchen hat.  Das Recht als Instrument der Intervention soll dem Staat aus der Hand genommen werden. Vorwiegend private Anlässe, insbesondere Verletzungen des Harm-Principle, sollen das Justizwesen beschäftigen. Richter und Anwälte sollen hauptsächlich bei Anruf durch Privatpersonen aktiv werden. Ihre Zwistigkeiten sollen die Menschen in ihrer Eigenschaft als private Parteien unter sich austragen, ohne Einmischung durch die öffentliche Hand. Auch hier muss es für mich einstweilen sein Bewenden mit dem kritischen Hinweis haben, dass Freiheit und die mit ihr verbundenen Rechte und Pflichten den Charakter öffentlicher Güter haben und somit von Natur aus keine Privatangelegenheiten, sondern öffentlich zu regelnde Sachverhalte darstellen. Doch auch hier wird Hayek in erster Linie vom Ehrgeiz getrieben, einen Weg aufzuzeigen, wie der Staat sich aus unserem Leben verbannen lässt.



Und schließlich das dritte, in gewisser Weise krönende Projekt des Hayekschen Minarchismus: seine Ideen zur Reform des Parlamentarismus. Darin sucht Hayek einen Weg aufzuzeigen, wie sich Politik und Staat daran hindern lassen, Gesetze zu verabschieden, die im Widerspruch zu den Prinzipien seines Liberalismus stehen. Einerseits ein logischer Ansatz, mit dem es im Erfolgsfall grundsätzlich möglich wäre, die anderen beiden Projekte politisch abzusichern, wie ich gleich kurz verdeutlichen will. Andererseits ist diesem Bemühen der gewichtige Vorwurf kaum zu ersparen, dass Hayek einen politisch intoleranten Staats-Liberalismus ins Leben zu rufen trachtet.

Er geht von der These aus, dass es in den führenden westlichen Demokratien keine echte Gewaltenteilung gibt, da die Legislative die maßgeblichen Persönlichkeiten der Exekutive bestellt und ihnen vorgibt, was sie zu tun und zu lassen haben. Aus anderer Perspektive betrachtet könnte man sagen: Die Exekutive gibt sich selbst ihre Aufgaben und Grenzen vor und ist ihr eigener Aufseher.

Dem will Hayek einen Riegel vorschieben, indem er eine Zwei-Kammern-Legislative vorschlägt, in der 
  • ein Haus (Legislative II) das konkrete Amts-Gebaren der Exekutive im Einzelnen steuert und überwacht (hat die Regierung ihr Budget in finanzieller und zweckgerechter Hinsicht eingehalten und z. B. die im Haushalt vorgesehenen 50.000 neuen Richterroben ordnungsgemäß bewilligt, bestellen und ausliefern lassen?),
während 
  • ein zweites Haus (Legislative I) (a) die grundlegenden Prinzipien beschließt, an die die Regierung und ihr unmittelbares Aufsichtsorgan, Legislative II, gebunden sind, sowie (b) die Einhaltung dieser Grundsätze durch Legislative II und Regierung überwacht.
Offenkundig verfolgt Hayek damit das Ziel, den Staat an die von ihm favorisierte Regierungsphilosophie zu ketten. Unklar ist, mit welchem Recht er erwartet, dass die Vertreter der obersten Überwachungslegislative seine Weltanschauung ausreichend kongruent mit ihm teilen. Es ist unbestreitbar, dass Hayek das Regieren auf einen ideologischen Kanon verpflichten will, der seiner parteiischen Position entspricht.

Hayek folgt der Vorstellung, dass es so etwas wie einen Grundbestand an objektiven Erfordernissen einer freien Gesellschaft gibt, die sich in einer endlichen Folge von Rechtsgrundsätzen dokumentieren und durch entsprechend ausgebildete Überwachungsspezialisten eindeutig interpretieren, verkünden und durchsetzen lassen. Er übernimmt dabei Elemente der Kantschen Rechtsmythologie, wie das Prinzip der Universalisierbarkeit von gültigen Rechtssätzen, die eben jenen objektiv-eindeutigen Charakter des freiheitlichen Rechts gewährleisten sollen. 

Mir erscheint dieser Ansatz völlig verfehlt, weil er dem ständigen Wandel des Rechts im Zuge eines pluralistischen Wettbewerbs um seine inhaltliche Bedeutung und praktische Gültigkeit in keiner Weise gerecht wird. In einer freien Gesellschaft ist das Recht notwendigerweise stark umstritten, und es ist unbedingt erforderlich, dass bei seiner wettbewerblichen Formung auch Kräfte und Ideen zum Zuge kommen, die Hayek durch seine Überwachungslegislative grundsätzlich ausgesperrt wissen will. Es ist dieser notwendigerweise und aus gutem Grund enorm politisierte Wettbewerb, der das Recht in einer freien Gesellschaft gestaltet. Der Ausgang ist nicht vorhersehbar, auch weil der Prozess der Neugestaltung des Rechts sich nicht objektivieren lässt, schon gar nicht zugunsten der Erwartungen einer bestimmten Ideologie. 

Dagegen ist Hayek bestrebt, die Offenheit des politischen Wettbewerbs durch sein Zwei-Kammern-System einzuschränken und die Öffentlichkeit von der gesellschaftlichen Gestaltung, zu der sie drängt, unter dem Präjudiz einer liberalen Leitdoktrin fernzuhalten. Die Illiberalität dieses Vorhabens wird nur noch von ihrer Undurchführbarkeit übertroffen.


Fortsetzung folgt.

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