Sunday 24 April 2016

Kapiert? (2) — Die Krise und das neue Modell für Wachstum und außenwirtschaftliche Beziehungen (2/2)— Thomas Palley

Image credit. Shadows of time, Schatten der Zeit heißt dieses Bild. Waren die ersten vierzig Nachkriegsjahre ein goldenes Zeitalter des Kapitalismus, das nicht mehr zurückkehrt?


Fortgesetzt von hier.

Diese Darstellung des post-keynesianischen Ansatzes von Palley bitte ich, nicht als endorsement, also als Zeichen meiner Übereinstimmung zu verstehen. Mir erscheint P's Ansatz verständlich in der Darstellung und logisch schlüssig, wie ich dies bei anderen Post-Keynesianer - Paul Davidson oder Marc Lavoie z.B. Ich finde es einfacher, sich durch den Dschungel der Ökonomen-Meinungen zu schlagen, wenn man sich an den relativ klaren Bezugspunkten orientiert, die diese Schule liefert.

Unter der Ägide des Washington Consensus, wird das neue Wirtschafts-Paradigma in die ganze Welt exportiert. Mit dem Resultat, dass nun nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern in vielen anderen Ländern die Arbeitseinkommen gegenüber dem Produktivitätszuwachs zurückfallen und in Stagnation geraten. Indes die Gesamtnachfrage im entwickelten "Norden" geschwächt wird, erlebt sie keine Stärkung im unterentwickelten "Süden", so dass einem weltweiten deflationären Trend Vorschub geleistet wird (19:30)

Die Losung "small government" 

  • steht für die Delegitimierung der wirtschaftspolitischen Rolle des Staats, dessen Beitrag unverzichtbar war unter dem alten Wachstumsmodell produktivitätsgedeckter Lohnsteigerungen, und 
  • suggeriert eine Effektivität deregulierter Märkte, die mitunter trügerisch ist. 

Arbeistmarkt-Flexibilisierung unterminiert die Macht und die Interessensicherung der Beschäftigten (Gewerkschaften, Mindestlohn, Arbeitnehmerrechte, Formen der sozialen Absicherung). 

Die Aufgabe des Primats der Vollbeschäftigung bedeutet, dass Preisstabilität bzw. die Verteidigung eines als wünschenswert angesehenen Inflationsniveaus einen höheren Stellenwert einnimmt als die Sicherung von Arbeitsplätzen. Wenn das Inflationsziel dies erfordert, nimmt die Wirtschaftspolitik eben ein Mehr an Arbeitslosigkeit in Kauf. Das Management der Geld- und Fiskalpolitik liegt in den Händen derer, die dem Inflations-Targeting größere Bedeutung beimessen als der Vollbeschäftigung. (20:30)

Das neue Paradigma der Wirtschaftspolitik spiegelt sich auch im Spar-Verhalten der Wirtschaftsteilnehmer wieder. Sowohl die privaten Haushalte als auch die Unternehmen weisen nach 1980 einen eklatanten Anstieg ihres Verschuldungsgrades aus verglichen mit der vorausgehenden Nachkriegsperiode. (21:30)

Weitere Aspekten dieser Entwicklung: die Spar-Rate kollabiert, der Schuldendienst als Prozentsatz des Einkommens steigt dramatisch,  und es zeigt sich bereits Ende der 1980er Jahre, dass das Wirtschaftswachstum davon abhängt, dass die Inflation der Hauspreise die wirtschaftsweite Inflation (CPI) deutlich übertrifft. (23:00)

Das neue Schema der Wirtschaft ist seinem Wesen nach instabil, denn es beruht darauf,

  • Arbeitseinkommen unter Druck zu setzen,
  • die Spar-Rate privater Haushalte zu reduzieren,
  • den Verschuldungsgrad zu erhöhen, und
  • Vermögenswerte inflationär aufzublähen.

Jedes dieser vier Verfahren kann zwar über längere Zeit aufrechterhalten werden, aber sie unterhöhlen die wirtschaftliche Solidität der Betroffenen und sind deshalb letztlich Faktoren, die für Instabilität und wirtschaftlichen Niedergang sorgen. (24.00)

Es ist freilich bemerkenswert, dass das Zusammenspiel dieser unguten Einflussgrößen solange vonstatten gehen konnte, ohne dass das Kartenhaus zusammenbrach. Der Grund für die Streckung der Lebenszeit dieses Modells hängt mit dem Aufkommen besonderer Innovationen im Finanzsektor zusammen, die das Karussell seine Runden länger als erwartet drehen ließen. (25:00)

Nun aber zum zweiten Teil des neuen Wirtschaftsparadigma, den außenwirtschaftlichen Beziehungen. 

Palley hält es für möglich, dass die seit 1980 grundsätzlich fehlerhafte Wirtschaftsordnung noch sehr viel länger an einem Zusammenbruch vorbeigekommen wäre, wenn sie nicht noch zusätzlich belastet gewesen wäre durch eine ebenfalls destruktive Wende in der Gestaltung der außenwirtschaftlichen Beziehungen. (26:00)

Diese beschreibt er als geeignet, die Wirtschaft in dreifacher Weise einer allmählichen Verblutung auszusetzen. Da ist zunächst

  • der Abfluss volkswirtschaftlicher Ausgaben durch verstärkten Import, dann
  • der Schwund an Arbeitstellen dank internationaler Auslagerung, und schließlich
  • die Leckage von Investitionsmitteln, die an ausländische Standorte abfließen.

Indem es Arbeitseinkommen und Beschäftigung zusätzlich untergrub verstärkte dieses dreifache Ausbluten die Schwächen und Widersprüche des neuen Wirtschaftsschemas.  (26:20)

An die Stelle einer ausgeglichenen Handelsbilanz trat ein massives, chronisches Defizit. Statt sich darum zu bemühen, einen weltweiten Markt zu schaffen, der in der Lage wäre, amerikanische Produkte zu absorbieren,  wurde vielmehr eine globale Produktionszone errichtet, von wo aus amerikanische Firmen Exporte an die USA verkaufen oder Importe einführen können, die billig genug sind, um amerikanische Produkte zu verdrängen. (27:00)

In dieses Bild gehört das NAFTA-Abkommen, das Kanada, die USA und Mexiko, ein Entwicklungsland, zu einer Handelszone zusammenschließt.

NAFTA

  • schuf eine einheitliche Produktionszone, einschließlich eines Billiglohnlandes, ein wichtiges Anliegen amerikanischer Unternehmen,
  • änderte die strategische Bedeutung von Wechselkursen, die ehedem wichtig für die Steuerung der Handelsbilanz waren, nun aber als Indikatoren für das weltweite Management von Produktionsstandorten dienen, 
  • veranlasste US-Firmen, Wechselkurse aus einer anderen Perspektive zu sehen - als Importeure ins eigene Land unterstützen sie eine Politik des starken Dollars, weil dadurch ihre Produkte in den USA billiger werden und dort daher stärkeren Absatz erfahren, indes sie höhere Profite am exportierenden Standort einfahren,
  • schuf einen politischen Präzedenzfall, indem die US-Regierung die Abwertung des Peso gegenüber dem Dollar akzeptierte.

Nach der Einführung von NAFTA schlug dar Handelsbilanz-Überschuss der Vereinigten Staaten gegenüber Mexiko in ein rasant ansteigendes Defizit um. Produktionsstandorte in den USA wurden geschlossen und nach Mexiko verlagert, so auch in steigendem Maße Investitionen. Mit der Drohung der Produktionsauslagerung nach Mexiko wurden Arbeitseinkommen in den USA "gedeckelt" und die organisierte Arbeiterschaft in Schach gehalten.

Ein weiterer Schritt im Rahmen des neuen Wirtschafts-Paradigmas war die Politik des starken Dollars, zu der man nach der großen Asien-Krise im Jahre 1997/98 mit folgenden Konsequenzen überging:

Nach der Überlassung umfangreicher Dollar-Kredit an die krisengeschüttelten Länder Asiens wurden diesen, dem Präzedenzfall Mexikos 1994 folgend, gestattet ihre Währungen gegenüber dem Dollar abzuwerten - eine Maßnahme, die auf Unterstützung vieler einflusreicher amerikanischer Firmen stieß, weil diese inzwischen auf der Suche nach profitablen Auslagerungs-Standorten waren. Damit war ein dauerhafter Trend in Gang gesetzt worden, der dazu führte, die Produktionsbasis in den USA zu verkleinern, um sie an günstigen ausländischen Standorten auszuweiten. Indes ein Import-Boom vonstatten ging, erlebte die US Produktionswirtschaft eine Rezession. Inzwischen waren die USA zum "buyer of last resort" für die ganze Welt geworden, zum Importeur, auf den die ganze Welt angewiesen ist. Anders gesagt: die Weltwirtschaft geriet in ein Abhängigkeitsverhältnis zur USA. Ein Umstand, der erklärt, warum die Finanzkrise der Vereinigten Staaten sich zur Global Finacial Crisis (GFC) ausweiten sollte.

Neben dem NAFTA-Abkommen und der Politik des starken Dollars, war das PNTR-Übereinkommen, das mit China getroffen wurde, das dritte Element der Neuordnung der außenwirtschaftlichen Beziehungen Amerikas im Rahmen des neuen Wirtschafts-Paradigmas. Dieses letzte Element in der Architektur des neuen Wachstumsmodells der US-Wirtschaft konnte sich durchsetzen, obwohl die anderen Maßnahmen (NAFTA und Politik des starken Dollars) bereits erheblichen Schaden angerichtet hatten. Warum? Der Bubble im Aktienmarkt, der dot-com Boom und eine erhebliche Inflation der Immobilien-Preise befeuerten die Wirtschaft und trugen so dazu bei, die außenwirtschaftliche Problematik zu verschleiern.

PNTR sorgte dafür, dass nun auch China Teil der neuen globalen Produktionszone wurde. China erhielt das Recht unbeschränkten Zugangs zu den amerikanischen Märkten, während amerikanische Firmen angesichts der in der Abmachung zugesicherten Rechts- und Eigentumssicherheit unbeschwert in China investieren konnten.

Das Resultat? Im darauf folgenden Konjunktur-Zyklus gestalten sich alle Indikatoren wirtschaftlicher Leistung schlechter denn je zuvor, mit Ausnahme der Unternehmensgewinne. Die Beschäftigung und das Investitionsniveau in den Produktionsbetrieben der USA brachen ein. Das Handelsdefizt mit China verdreifachte sich in nicht mehr als sechs Jahren. (35.00)

Weil China nun auch Billiglohnländern auf breiter Front Konkurrenz machte, zog diese Entwicklung inzwischen auch andere Entwicklungsländer in Mitleidenschaft, darunter Mexiko.

Zum Abschluss: Welches Gesamtbild ergibt sich aus alledem?

Ab 1980 gingen die Vereinigten Staaten gehen zu einer makro-ökonomischen Wirtschaftsweise über, die darauf angewiesen ist, dass Blasen in den Märkten für Vermögenswerte aufgepumpt werden. Je schwächer der Zustand der Wirtschaft, desto größer der Bedarf an (letztlich nur scheinbar) kompensierenden Konjunktur-Blasen. Die zusätzliche Belastung der Wirtschaft durch ein verfehltes Modell außenwirtschaftlicher Beziehungen verstärkte die wegen des im falschen Wachstumsmodell ohnehin prekäre Situation, die sich nur noch mit einem Bubble desto größeren Umfangs kaschieren ließ.

Trotz des Rekordtiefs der Zinssätze und des Booms im Immobilienbereich blieb das Wirtschaftswachstum schwächer denn je zuvor in der Geschichte der amerikanischen Konjunktur-Zyklen.

Man verzeichnete

  • den geringsten Anstieg des BIP, der je in einer Aufschwungsphase eines Konjunktur-Zyklus gemessen wurde — desgleichen:
  • das geringste Wachstum der Investitionsrate,
  • den geringsten Beschäftigungszuwachs,
  • das geringste Wachstum des produzierenden Gewerbes,
  • die geringste Zunahme der Arbeitseinkommen.

Was der Wirtschaft angesichts dessen jetzt nur noch "helfen" konnte, war ein gewaltiger Bubble. Innerhalb der neuen wirtschaftspolitischen Architektur der US-Wirtschaft sind künstlich aufgeblähte Märkte zur Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum geworden. (40:00)

Die Deregulierung des Finanzsektors und die daraufhin Platz greifenden Exzesse in den Finanzmärkten haben ohne Zweifel diese "Bubble-Wirtschaft" möglich gemacht.

Eine Kehrwende ist jedoch weder abzusehen noch zu erwarten, da es allenthalben an einem Verständnis der zugrunde liegenden Zusammenhänge mangelt.

"Shared prosperity", eine paritätische Teilhabe von Arbeit und Kapital an den Früchten des Wirtschaftswachstums, gehört der Vergangenheit an. Denn das neue makro-ökonomische Paradigma sieht eine Politik eines derartigen Gleichschritts einfach nicht vor. Wir müssen uns auf eine Ära der Stagnation gefasst machen. (41:00)






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