Saturday 16 July 2016

Minsky und mehr (1) — Ein Portrait


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Minsky — den Namen hat man schon gehört. Hat irgendetwas mit dem Crash zu tun. Hier ein kurzer Abriss, in dem ich mich mit diesen folgenden Fragen in zwei Folgen Fragen befasse: Was ist Minskys Botschaft? Wie ist sie zu bewerten?


Minskys Botschaft


Die im Jahre 2007 einsetzende Große Finanzkrise wird mitunter als eine Bestätigung des analytischen Scharfsinns von Hyman Minsky angesehen. 

Die Vorhersage einer heftigen Finanzkrise folgt zwingend aus dem Kernstück von Minskys Denken—der Instabilitätsthese. Diese besagt, dass gerade gesunde wirtschaftliche Verhältnisse und eine dauerhaft stabile Entwicklung der Wirtschaft paradoxerweise den Boden für Strömungen und Veränderungen bereiten, die auf zunehmende Instabilität zusteuern. 

Stabilität gebiert Instabilität. 

Jahre und Jahrzehnte der Blüte, des Erfolgs, der Gewöhnung an gute und sichere Zeiten, verleiten uns zu einem schleichenden Wahrnehmungswandel, im Zuge dessen sich die Standards verschieben, an denen sich unsere Sensibilität für Wagnis, unser Bedürfnis nach Besonnenheit, der Ehrgeiz unserer Erwartungen ausrichten. Mit der Sichtweise ändert sich das Verhalten; neue Gepflogenheiten bürgern sich ein; es verändern sich die Institutionen, die unser Leben prägen—eine Welt neuer Selbstverständlichkeiten bricht heran. 

Was man vor langer Zeit noch als unerträglich riskant gemieden hätte, funkelt inzwischen im freundlichen Licht, in dem die Errungenschaften und die kühnen Zeichen einer neuen Zeit erstrahlen. Unbemerkt bleiben die Risse, aus denen Spannungslinien werden und eines Tages Abgründe. Erfolg und Substanz, über Jahrzehnte gewaltig angewachsen, halten ebenso große Belastungen aus. Der Puffer des Wohlstands und die Dynamik des Fortschritts machen es nicht immer leicht, die Übertreibung, den Unterschied zwischen Chance und Zockerei wahrzuhaben. Dann plötzlich der Krach — the Minsky Moment.

Minskys Theorie fokussiert auf den Finanzsektor einer kapitalistischen Wirtschaft. Sie sieht diesen Bereich sich in einem doppelten Lebenszyklus entfalten—dem einfachen Minsky-Zyklus und dem Super-Minsky-Zyklus.

Der einfache Minsky-Zyklus (4 bis 8 Jahre) bezieht sich auf die Art der Finanzierung, die Gestaltung von Finanzinstrumenten sowie die Bedingungen, die zu finanzwirtschaftlicher „Fragilität“ führen, sprich zur Aushöhlung der Qualität von Haushalts- und Unternehmens-Bilanzen. Der Erosionsablauf nimmt seinen Anfang in einer durch „hedge finance“ gekennzeichneten Phase, in der die erwarteten Einnahmen der Schuldner als ausreichend eingeschätzt werden, sowohl den Kapitalanteil als auch die Zinsen eines Kredits zu bedienen. In der folgenden Phase, bezeichnet als „speculative finance“, sind nur noch die Zinsen durch Einnahmen gedeckt. Und in der Schlussphase, „Ponzi finance“ genannt, stützt man sich auf Kapitalgewinne, um den Schuldendienst zu leisten.

Dem einfachen Minsky-Zyklus liegt eine psychologische Betrachtungsweise zugrunde: die Akteure zeichnen sich durch zunehmenden Optimismus aus, der sie dazu bewegt, Vermögenswerte und den künftigen Zufluss der Einnahmen mit großer Zuversicht zu bewerten, und ihre Risikotoleranz in der Erwartung zu erhöhen, dass sich „die fetten Jahre“ auf unabsehbare Zeit fortsetzen. Von diesem Optimismus sind sowohl Schuldner als auch Gläubiger ergriffen, was zur Folge hat, dass die disziplinierende Wirkung der Märkte, an denen sie sich begegnen, eine fortschreitende Schwächung erleidet.

Der grassierende Optimismus schlägt sich auch darin nieder, dass sich mit der Verlängerung konjunktureller Episoden die Vorstellung vom „Tod der Konjunkturzyklen“ immer stärker breit macht. In den 1990er Jahren vernahm man die These von der „New Economy“, in der man die Konjunkturschwankungen verdrängt wähnte durch ein fortwährendes Wachstum der Produktivität. In den 2000er Jahren war die Rede von der „Great Moderation“, einer These, wonach es den Zentralbanken gelungen war, das Auf und Ab der Konjunktur mittels geldpolitischer Maßnahmen zu bezwingen, die  angeblich einem verbesserten Verständnis der Wirtschaft zu verdanken waren. Ein Anzeichen für den einfachen Minsky-Zyklus, sind diese Meme hochgradig virulent, erfassen alle, auch maßgebliche Persönlichkeiten der Aufsichtsbehörden und der Wirtschaftspolitik. 2004 bekannte sich z.B. Ben Bernanke, Chef der Federal Reserve, zur These von der „Great Moderation“, der großen Beruhigung der Finanzmärkte.

Der einfache Minsky-Zyklus ist in jedem Konjunkturzyklus anzutreffen. Ergänzt wird er durch den Super-Minsky-Zyklus, dessen Aufbau sich über mehrere Konjunktur-Kämme, also über Jahrzehnte, erstreckt. Der Super-Minsky-Zyklus stellt einen Prozess dar, der Unternehmen verändert, die Konventionen, die sich auf wichtige Entscheidungen der Geschäftsleute und der Politik auswirken, die grundlegenden Strukturen, einschließlich des Bereichs der Aufsichtsbehörden, welche maßgeblich sind für die Gestaltung, die Steuerung, und die Überwachung von Märkten. Diese Strukturen, Minsky nennt sie „thwarting institutions“ — „konterkarrierende Institutionen“ — sind von entscheidender Bedeutung für die Stabilität kapitalistischer Volkswirtschaften.

Dieser Prozess der Aushöhlung und Umgestaltung erstreckt sich über mehrere Konjunktur- und einfache Minsky-Zyklen. Die beiden Typen von Minsky-Zyklen laufen gleichzeitig ab, so dass Erosion und Metamorphose sich kontinuierlich von Zyklenkamm zu Zyklenkamm fortsetzt. Eine schwere, das Überleben des Systems bedrohende Finanzkrise bricht erst dann über die Wirtschaft herein, wenn der Super-Minsky-Zyklus genügend Zeit hatte, die „konterkarierenden Institutionen“ grundlegend zu unterminieren. Bis dahin erleidet die Wirtschaft eine Abfolge von Auf- und Abschwüngen, die von geringerer Tragweite sind. Hat eine Krise großen Stils die Wirtschaft schließlich erfasst, bricht eine Periode heran, in der die „konterkarierenden Institution“ Erneuerung mit neuen, wirkungsvolleren Regeln und Vollzugsorganen erfahren.

Man kann den Super-Minsky-Zyklus als den Korridor ansehen, durch den mehr und mehr Finanzrisiken in das Wirtschaftssystem eingelassen werden—und zwar vor allem auf zweierlei Weise, durch aufsichtsrechtliche Entspannung („regulatory relaxtion“) und durch erhöhte Risikobereitschaft. Auf diesem Wege steigen sowohl die Nachfrage nach als auch das Angebot an Risiken.

Die „aufsichtsrechtliche Entspannung“ erfolgt in drei Dimensionen. 

Erste Dimension: Sie wirkt durch „regulatory capture", d.h. durch  „Kapern“, sprich Anwerben und Sich-Gewogen-Machen der Aufsichtsbehörden oder deren Eingewöhnung in das erwünschte neue Regime. Dies führt dazu, dass die Einrichtungen, die dazu dienen sollen, die Ausbreitung übertriebener Risiken zu verhindern, sich in die Ambitionen, Interessen und Handlungsneigungen der zu beaufsichtigenden Akteure verstricken oder auf andere Weise geschwächt werden. Die vergangenen 30 Jahre legen beredtes Zeugnis von der Vereinnahmung der Aufsichtsbehörden — der US-Zentralbank, dem Finanzministerium oder der Securities and Exchange Comission — durch das von ihnen zu beaufsichtigende Klientel ab.

Eine zweite Dimension erleben wir in Gestalt des “regulatory relapse” — der Neigung von Aufsichtsbehörden, gewissermaßen rückfällig zu werden, indem sie das Opfer von "Gedächtnisschwund" oder der gefälligen Umdeutung geschichtlicher Erfahrungen werden. Auch sie, wie andere Gesellschaftsteilnehmer, sind nicht davor gefeit, die Lektionen der Vergangenheit zu vergessen und der Rhetorik des Zeitgeists zu erliegen. Dies und ideologische Neuerscheinungen veranlassen sie Bestimmungen auszuweichen im Glauben, dass die Umstände sich gewandelt und der Zweck, sie aufrechtzuerhalten, gegenstandlos oder weniger triftig geworden ist. In diesem Zusammenhang haben Ökonomen mit ihren Theorien über „the Great Moderation“ und die Wirksamkeit selbstregulierender Arrangements beträchtlichen Einfluss geübt

Eine dritte Dimension betrifft “regulatory cescape”, die Erhöhung von Risiken durch Umgehung von aufsichtsrechtlichen Bestimmungen mit Hilfe von innovativen Finanzprodukten und Praktiken, an die nicht zu denken war als die geltenden Regelungen beschlossen worden waren.

Parallel zu den geschilderten Strategien der Vereinnahmung, Entspannung und Umgehung des aufsichtsrechtlichen Zugriffs ist zu beobachten, dass sich auch die Schuldner für ihren Teil erhöhten Risiken aussetzen. Erstens, Finanzinnovationen gestatten es Schuldnern, sich einen größeren Umfang an Verbindlichkeiten aufzuladen. Man denke an home equity Kredite (ohne Eigenbeteiligung) oder Hypotheken, die so ausgestaltet sind, dass zunächst verhältnismäßig niedrige Zinsen zu zahlen sind, bevor dann in späteren Jahren, die Zinsforderungen stark ansteigen.

Zweitens, auch Marktteilnehmern schwindet die Erinnerung an warnende Episoden aus der Vergangenheit — so wurden diejenigen, die die 1930er erlebt und es gelernt hatten, mit Aktienengagements vorsichtig zu sein, abgelöst durch die Baby Boomer, welche sich zu enthusiastischen Aktienbesitzern entwickeln sollten.



Fortgesetzt hier.

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