Thursday 15 September 2016

FV (8) — Die falschen Prämissen der sichtbaren Hand



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Kritische Vorbemerkung:


Der grundlegende Irrtum, der in verschiedenen inhaltlichen Tönungen im nachfolgenden Text aufscheint, besteht darin zu verkennen, dass es in einer freien Gesellschaft immer eine nahezu unbegrenzte Anzahl von Anlässen geben wird, die den Wunsch auslösen, auf das wirtschaftliche Geschehen politisch/extraökonomisch Einfluss zu nehmen. Das gilt für Entscheidungen, die alle Menschen stark und unmittelbar betreffen (Steuern z.B.), bis hin zu verhältnismäßig eng lokalisierten und fürs Ganze unbedeutenden Einzelfragen (darf auf einem Gelände eine Fabrik gebaut werden, die die Lebensbedingungen einer Eulenspezies angeblich verschlechtert?). Eingriffe in die Wirtschaft sind unvermeidlich und äußerst zahlreich gerade in einer freien Gesellschaft. Um Freiheit zu verstehen, brauchen wir eine Theorie der eingriffsintensiven Wirtschaft. Denn den reinen, ideologisch aufgebauschten Unterschied zwischen freier und interventionistischer Wirtschaft wird man in einer freien Gesellschaft vergeblich suchen. Die unten angesprochenen Kritikpunkte haben Geltung beim Vergleich zwischen freier Wirtschaft und Planwirtschaft, nicht aber in der Beurteilung von relativ freien Volkswirtschaften. Der Liberalismus verfügt über keine Theorie der gemischten Wirtschaft, welche jedoch gerade kennzeichnend ist für freie Gesellschaften. Die Wirtschaft einer freien Gesellschaft wird immer eine interventionistische Wirtschaft sein, da Freiheit das Recht beinhaltet, um die Rahmenbedingungen des gesellschaftlichen Miteinanders im Großen wie im Kleinen, in der Wirtschaft wie in wirtschaftsferneren Bereichen, ja überhaupt in allen Bereichen des Lebens wettstreiten zu dürfen.


September 2016

Siehe auch meine Artikel hier und hier.


Die falschen Prämissen der sichtbaren Hand

Fragment aus der Kladde für Entwürfe zu meinem Buch “Freiheit verstehen”:

Um es mit einer überspitzten Sentenz zu sagen: Früher war ein Ökonom ein Mensch, der erklären konnte, warum die Wirtschaft ohne staatliche Eingriffe funktioniert, und dies besser als wenn staatliche Eingriffe vorgenommen werden. Heute ist ein Ökonom ein Mensch, der versichert, dass eine Wirtschaft nur mit Hilfe staatlicher Eingriffe funktionieren kann.

Aus dem Ökonom ist der Wirtschaftspolitiker geworden – ersterer zuständig für das Wissen um die unsichtbare Hand, letzterer zuständig für die Lenkung der sichtbaren Hand.

Im letzten Kapitel über die “Wirtschaft” haben wir versucht uns das Phänomen der unsichtbaren Hand einsichtig zu machen; im ersten Teil des vorliegenden Kapitels über “Politik” haben wir uns mit der Entstehung und den zuträglichen Möglichkeiten der sichtbaren Hand, dem Staat, befasst; im zweiten Teil dieses Kapitels setzten wir uns nun mit den Grenzen und Problemen der sichtbaren Hand auseinander.

Die Probleme mit der sichtbaren Hand beginnen mit der Neigung, aus Anhänglichkeit an Denkgewohnheiten, die dem Gegenstand nicht gerecht werden, falschen Prämissen zu folgen, darunter diese beiden:

Erste Prämisse – Kontrollillusion

Niemand ist zuständig für das Gesamt-Gewebe freier Märkte; es gibt keine übergeordnete Instanz, die bestimmt, was, für wen, wann, wo, in welcher Menge und zu welchem Preis produziert wird. Das Fehlen eines solchen Lenkers wird von Vielen als suspekt empfunden. Dieses Sentiment verführt zur ersten falschen Prämisse: Es schiebt sich eine Intuition ins Bild, das wir uns von der Wirtschaft machen, und verdeckt die subtile Funktionsweise dieser spontanen ökologischen, mit komplexen Rückkopplungen ausgestatteten Ordnung.

Wir halten Eingriffe in die Wirtschaft für nötig, weil wir dem Gefühl, etwas unter Kontrolle zu haben, einen höheren Stellenwert beimessen als der Erforschung von Zusammenhängen, die unsere Denkerwartungen erschüttern.

Zweite Prämisse – Einheitsmoral als Motor der Wirtschaft

Die zweite irreführende Prämisse ergibt sich aus dem Umstand, dass eine Eingriffsautorität ihre Maßnahmen moralisch rechtfertigen muss. Denn wer wollte nicht, dass wirtschaftspolitische Maßnahmen “gut” sind, so dass man sie “gutheißen” kann. Damit aber leistet man einer unnötigen und vielfach bedenklichen Moralisierung und letzten Endes der Politisierung der Wirtschaft Vorschub. Wobei Politisierung gleichbedeutend ist mit dem Recht des Stärkeren, des politisch Stärkeren.

Die freie Wirtschaft beruht auf allgemeingültigen Regeln der Gerechtigkeit; sie ist individuellen Parteien und Anliegen gegenüber neutral, ganz wie es der ihr zugrunde liegende Rechtsstaat will, den Justizia mit ihren verbundenen Augen verkörpert. Die politisierte Wirtschaft hingegen konstruiert Gerechtigkeit ad hoc, willkürlich, nach Maßgabe überlegenen politischen Einflusses.

Man stelle einmal das Gedankenexperiment einer Wirtschaft an, die nur funktionieren kann, wenn jeder jeden liebt. Die freie Wirtschaft kommt ohne eine solche Annahme aus. Sie ist neutral gegenüber den persönlichen Zielen und inneren Motiven der in ihr handelnden Personen. Ob Bill Gates von Gier getrieben ist oder nicht, in der freien Wirtschaft kann er nur Erfolg haben, wenn er anderen Gutes tut, sprich: seine Produkte anderen Menschen willkommen sind und deshalb freiwillig von diesen erworben werden.

Die politisierte Wirtschaft hingegen muss ihre Maßnahmen moralisch “herausputzen”, Moralität inszenieren – Gutes verheißen, was nicht erzielt werden kann oder aufgehoben und ins Gegenteil verkehrt wird durch Konsequenzen, die hinter den moralisierenden Versprechungen unbeachtet bleiben. Oder es ist so, dass die Wirtschaftspolitik der politisierten Gesellschaft zum Sklaven moralisch verbrämter Forderungen wird, (a) die nur von bestimmten Menschen als moralisch angesehen werden und anderen aufgezwungen werden müssen, (b) in Wirklichkeit ihre moralische Berechtigung nur vortäuschen oder (c) irrtümlich propagieren, weil sie unbeachtete Konsequenzen nach sich ziehen, die mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen.

Die freie Wirtschaft ist ein Arrangement, das hochgradig arbeitsteiligen und außerordentlich volkreichen Gesellschaften angepasst ist. Es ist ein Verfahren, bei dem Menschen sich gegenseitig willkommene Dienste leisten, unabhängig davon, ob sie sich kennen oder einander mögen.

Die politisierte Gesellschaft muss hingegen ein gemeinsames Wertesystem erzwingen oder so tun, als bestünde ein derartiger Konsens in einer Gesellschaft, in der die Menschen in Wahrheit die unterschiedlichsten Ziele und Werte besitzen.


Geschrieben im März 2013

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