Friday 26 February 2016

Das Paradoxon der Freiheit (11) - Ein Vortrag

Fortsetzung des zehnten Teils.

Wie wir in der 10. Folge gesehen haben, findet Hayeks Minarchismus - sein Wunsch nach einer ausgesprochen zurückhaltenden Rolle des Staats in der Gesellschaft - besonderen Ausdruck dort in seinem theoretischen Werk, wo er vorschlägt, 

den Staat

  • gemäß seiner Theorie des Währungswettbewerbs vom Geld fernzuhalten

  • gemäß seiner Theorie der Privatrechtsgesellschaft vom Recht fernzuhalten

  • gemäß seiner Theorie der Gewaltenteilung daran zu hindern, als Gestaltungsinstrument einer demokratischen Öffentlichkeit zu fungieren und stattdessen an die gesellschaftsphilosophischen Präferenzen des Hayekschen Liberalismus zu binden.

Wie gut sind diese Hayekschen Visionen?

Ich habe in der vorliegenden schriftlichen Variante des Vortrags meine Kritik an Hayeks drei Theorien bereits anklingen lassen. Im Prinzip haben die darin erwähnten Einwände zu der Hayekschen Visionen-Triade einen gemeinsamen Kern: Geld, Recht und Politik sind öffentliche Güter, also Wohlfahrtsbeiträge, die sich ohne den Staat nicht in befriedigender Form bereitstellen lassen. Dazu mehr in The State - (5) - [Draft] und The State - (8) - [Draft].



Im Folgenden sehe ich davon ab, einzelne Kritikpunkte zu behandeln, die Hayeks jeweiligen Visionen punktuell in Frage stellen, etwa der Einwand, dass alle Formen einer Geldverfassung, die Hayek je während seiner akademischen Laufbahn unterstützt - so einst auch den Gold-Standard - das Verschwinden des politischen Elements stillschweigend unterstellen, indes sie realiter undenkbar sind ohne politische Unterstützung und bei Durchführbarkeit allemal eingebunden blieben in eine politische Infrastruktur, die maßgeblichen Einfluss ausübt auf die Überlebenschancen der vorgeschlagenen Maßnahmen und die Art und Weise, wie sie sich konkret verwirklichen lassen. Wiewohl einen selbstkorrigierenden Mechanismus beinhaltend, war der Goldstandard zuvörderst ein Produkt der Politik und konnte nie etwas anderes sein.

Statt mich also in der Kritik einzelner Aspekte zu üben, möchte ich nun eher die prinzipiellen Gründen ansprechen, die Hayek, nach meiner Meinung, in eine ganz bestimmte, verfehlte Richtung locken und ihn zu seinen Irrtümern verleiten.

Es wird sich herausstellen, dass Hayek auf Irrwege gerät, weil er den Versuchungen erliegt, die eine Idee aus der Bahn des Wissenschaftlichen unweigerlich in die des Ideologischen umleiten.

Hayek untersucht die Freiheit nicht als unparteiischer Wissenschaftler, sondern tritt als Parteigänger an sie heran, um sie einer bestimmten Weltanschauung dienstbar zu machen. Das ist der Fehler, der ihn scheitern lässt. Ideologien funktionieren nicht, weder logisch noch praktisch. Warum? Das will ich gleich am Beispiel Hayeks erläutern.

Zunächst aber die Geschichte einer Reihe von Irrtümern sowie einige Überlegungen zu Struktur und Qualität von Visionen.


Betrachten wir die Vision eines neuen Motorentyps, den Wankelmotor. Dieser verspricht erheblich wirtschaftlicher zu arbeiten als der konventionelle Hubkolbenmotor. Letzterer wuchtet die Masse des Kolbens einmal in diese Richtung und dann zurück in die entgegen gesetzte Richtung. Das heißt er beschleunigt Masse, bremste sie ab, beschleunigt sie wieder, bremst sie ab und so weiter. Dieses Hin- und Herreißen kennt der Wankelmotor nicht. Er verrichtet seine Arbeit in Form einer kontinuierlichen Rotationsbewegung. Alle beweglichen Teile drehen sich um ihren Schwerpunkt, die Exzenterwelle, so dass sich der Wankelmotor vollständig auswuchten lässt.

Die Idee des Wankelmotors trägt die Struktur einer Vision in sich. Aus bestimmten Schlüsselprämissen - hier die kontinuierliche Rotationsbewegung - leiten wir eine Conclusio, eine Schlussfolgerung ab, welche das Versprechen der Vision enthält. 


Wir hatten vor kurzem die Frage gestellt, wie gut die Visionen von Friedrich Hayek seien. Das hängt von Faktoren ab, die auch die Qualität jeder anderen Vision betreffen, einschließlich des Wankelmotors.

Denn zwischen Prämissen und Conclusio einer Vision pflegen intermediäre Bedingungen zu treten, die, ein gewichtiges Wörtchen mitsprechen, wenn es darum geht zu entscheiden, ob eine Vision ihre Versprechen einzuhalten vermag.

Unter intermediären Bedingungen verstehe ich eben all jene Faktoren, die maßgeblich sind für die logische Stimmigkeit einer Vision und für ihre Chancen in der wirklichen Welt, ihre Machbarkeit und realen Konsequenzen.

Schaffen es die Annahmen einer Vision das "Minenfeld" der intermediären Bedingungen unbeschadet zu überqueren, dann haben wir eine Vision, die in der Lage ist, ihre verheißungsvolle Botschaft auch tatsächlich umzusetzen.

Die Vision des Wankelmotors hat den Test der intermediären Bedingungen nicht bestanden. Genauere Analyse und der Test der Realität bringen intermediäre Bedingungen zutage, denen der Wankelmotor nicht gewachsen sind. Vor allem erhebliche Dichtungsprobleme sorgen dafür, dass sich das visionäre Versprechen höherer Wirtschaftlichkeit in sein Gegenteil verwandelt - u. a. wegen erheblich längerer Dichtflächen verzeichnet der Wankel einen sehr viel höheren Kraftstoffverbrauch als der Hubkolbenmotor.


Wer die Erkenntnisse, die die Gültigkeit des Zusammenhangs zwischen den Prämissen und den Schlussfolgerungen einer Vision widerlegt,  nicht kennt, ignoriert oder gar bewusst verschweigt, der verwandelt sich vom Visionär zum Ideologen - er verkauft Ideen, die nicht funktionieren können.

Eine der häufigsten Gründe dafür, dass aufrichtige und kluge Menschen sich zu Handlangern von Ideologien machen, besteht darin, dass sie sich bei der Verteidigung ihrer Vision auf einem zu hohen Abstraktionsniveau bewegen - was nichts anderes bedeutet, als dass sie die konkreten Verwirklichungsbedingungen, die sich auf einem niedrigeren Abstraktionsniveau befinden, außer Acht lassen. Diese Gefahr ist besonders groß im Falle politischer Theorien, wie dem Kommunismus oder dem Liberalismus, weil die Anzahl der Faktoren, die sich empirischer Überprüfung entziehen, sehr groß ist. Viele dieser Faktoren bieten sich dazu an, rhetorisch nachgebessert oder auf andere Weise durch geschickte Darstellung "entproblematisiert" zu werden. So zum Beispiel, wenn man den Umstand, dass "der Staat" als historisches Abstraktum für Verbrechen, Katastrophen oder aber auch nur für vielerlei ärgerliche Unzulänglichkeiten des Alltags verantwortlich gemacht werden kann, dazu ausnutzt, ihn als von Natur aus gefährlich und sogar bösartig darzustellen. Die allgemeine Staats-Schelte stößt bei vielen auf offene Ohren. Wenn sich erst einmal eine Gemeinde von Staatsgegner gebildet hat, kann sich deren Voreingenommenheit zu einem Faktor entwickeln, der das Staatsversagen für eine wachsende Zahl von Menschen zu einem untrüglichen Bestandteil ihrer Realität macht. Schieres Sich-Angesprochen-Fühlen und Gruppenresonnanz bilden eine neue Realitätsschicht, die das Bild des fraglichen Sachverhalts eintönen. Nur ein Absteigen auf ein niedrigeres Abstraktionsniveau, das heißt die prüfende Konfrontation mit konkreten, intermediären Bedingungen, öffnet den Blick auf andere wichtige Aspekte des Staats, die schließlich den Schluss zulassen, dass er zwar ein ambivalentes Wesen hat, das sich aber für vieles nutzen lässt, was gut für uns ist.




Fortsetzung folgt.

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