Monday 29 February 2016

Das Paradoxon der Freiheit (13) - Ein Vortrag

Fortsetzung des zwölften Teils.

Ich hatte in Folge 11 die Frage gestellt, was von der Qualität der Hayekschen Vision zu halten ist. Als wichtigstes Qualitätsmerkmal einer politischen Vision habe ich das Freisein von ideologischer Verzerrung hervorgehoben. Eine Vision verliert ihre Glaubwürdigkeit und ihre Brauchbarkeit für die Allgemeinheit, wenn sie zur Ideologie gerät. Das tut sie, wenn sie sich der Prüfung  durch unverzichtbare Testkriterien, den so genannten intermediären Bedingungen, entzieht. Die Immunisierungsstrategie lässt sich so deuten, dass Folgerichtigkeit und Praktikabilität eines politischen Programms auf einem Abstraktionsniveau verteidigt werden, das seinen Mangel an konkreter Authentifizierung verhehlt. Dazu wird der Eindruck erweckt, 
als seien eine Reihe von konkreten Erfüllungs-Bedingungen der betreffenden ideologischen Vision
  •  erfüllt oder erfüllbar, obwohl dies nicht zutrifft 
oder
  • unmaßgeblich, obgleich deren Erfüllung unverzichtbar ist. 
Der Hayekschen Liberalismus übersieht, dass Politik grundlegender als Märkte ist; er verkennt, dass Politik, zusammen mit ihrem wirkungsvollsten Vollzugsinstrument, dem modernen Staat, Grundvoraussetzung für das Funktionieren von freiwilligen Kooperationsformen wie marktlicher Transaktionen ist. Märkte und die Möglichkeit der Interaktion freier Bürger setzen friedliche soziale Verhältnisse voraus, die immer erst politisch und mit staatlichen Mitteln herbeigeführt werden müssen. Auf fundamentalster Ebene besteht die Aufgabe von Staat und Politik darin, für Vertrauen und Gewaltlosigkeit unter den Menschen zu sorgen - eine diffizile, umfassende und entsprechend aufwändige Aufgabe, die sich nicht verträgt mit dem Kernanliegen des Hayekschen Minarchismus, die Rolle des Staats und der Politik zu minimieren. Die Freiheit benötigt viel Politik und viel Staat.


Freie Märkte leisten einen großen Beitrag dazu, das Problem wirtschaftlicher Knappheit zu bewältigen. Sie sind aber nicht selbst in der Lage, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Menschen freiwillig und selbstbestimmt miteinander Handel treiben. Bevor letzteres möglich wird, muss das Problem politischer Knappheit gelöst werden. und das ist die Aufgabe, die der politischen Ordnung einer Gemeinschaft zukommt.

Wirtschaftliche Knappheit bedeutet, dass die Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, nicht ausreichen, um alle Zwecke, die uns wichtig sind, zu erreichen. Wir müssen deshalb ein Budget erstellen, mit dem wir versuchen, die uns gebotenen knappen Ressourcen auf jene Zwecke zu verteilen, die uns am wichtigsten sind. Eine Herausforderung, die sich dem Individuum, ebenso wie einer Gemeinschaft stellt. In einer Gemeinschaft stellt sich aber zusätzlich zum Problem der wirtschaftlichen Knappheit auch das der politischen Knappheit - denn als freie Menschen mit unseren eigenen Vorstellungen mögen wir Schwierigkeiten haben, uns gemeinsam auf ein Budget zu einigen, eine Rangordnung der Ziele und der ihnen zuzumessenden knappen Ressourcen.


Mit politischer Knappheit meine ich also einen Mangel an politischer Einigkeit. Das Problem hierbei besteht darin, dass die Gegenstände der Uneinigkeit so großes Gewicht für die Streithähne besitzen kann, dass jede Partei auf die Durchsetzung ihres mit den anderen Standpunkten unvereinbaren Zwecks bestehen mag. Unter derartigen Bedingungen ist es schwer, friedlich zusammenzuleben und produktiv zu sein. Die Gemeinschaft wird durch gegenseitige Feindseligkeit und Gewalt bedroht. Die Art von schwerwiegendem Zwist, der politische Knappheit auslöst, lässt sich meist nicht auf wirtschaftlichem Wege, d.h. durch Markttransaktionen aus der Welt schaffen. Wir müssen in eine andere Sphäre herüberschreiten, wenn wir Aussicht haben wollen auf Beilegung oder ausreichende Herabsetzung schwerwiegender Konflikte in grundsätzlichen Fragen. Wir müssen in das Reich der Politik herüberwechseln. Mit ihrer ganz eigenen Infrastruktur an Institutionen und Gepflogenheiten gibt sie uns die Möglichkeit, Frieden zu stiften, Vertrauen zu schaffen und Gewalt zu vermeiden - durch Debatten, Verhandlungen, Kompromisse, gemeinsame Legitimierungsverfahren und den durch diese schließlich erwirkten legitimierten Zwang gemeinsamer Regeln und gemeinsamer Prinzipien der Bestrafung von Regelverletzungen.


Der Hayeksche Liberalismus verkennt die herausragende Bedeutung von Politik und Staat bei der Sicherung von Frieden und anderen Voraussetzungen des Lebens und Wirtschaftens in einer freien Gesellschaft. 

Für Hayek stellen die konsequente Anwendung marktwirtschaftlicher Prinzipen und die Ausweitung marktwirtschaftlicher Beziehungen unter den Menschen die unbedingt zu bevorzugende Alternative zur politischen Ordnung dar. Diese Auffassung ist zum Einen falsch. Zum Anderen ist sie, wie wir gleich sehen werden, politisch verheerend für den Hayekschen Liberalismus.

Hayeks letztes Werk trägt den Titel: The Fatal Conceit - The Errors of Socialism, zu deutsch: die Tödliche Anmaßung - die Irrtümer des Sozialismus. Mit tödlicher Anmaßung meint Hayek
die Bedrohung der spontanen Ordnung einer freien Gesellschaft durch Politik und Staat (die allenthalben drohe und sofort auf den Weg zum Sozialismus führe), wobei Hayek in seiner minarchistischen Voreingenommenheit nicht nur offenkundige Bedrohungen des Allgemeinwohls durch dirigistische Politik sondern auch Errungenschaften und willkommene Grundfunktionen der politischen und staatlichen Ordnung in seine Ablehnung einschließt. Damit aber lässt sich der Hayeksche Liberalismus selbst eine tödliche Anmaßung zu Schulden kommen. Die übertriebene Zurückweisung politischen Handelns und staatlicher Gestaltung kommt dem Selbstmord des Liberalismus gleich, wenn man breite und dauerhafte Zustimmung in der Bevölkerung als Lebenskriterium einer politischen Idee zugrunde legt. Denn dort, wo politische Freiheit herrscht, ist es unrealistisch zu erwarten, dass die Menschen bereit sind, auf die wichtigen, allen zugute kommenden Leistungsbeiträge von Politik und Staat zu verzichten.

Hayek, der in einem brillanten Teil seines wissenschaftlichen Werks den wirtschaftlichen Wettbewerb als Entdeckungsverfahren deutet, ist wegen seiner minarchistischen Verblendung außerstande, diesen Gedanken auf Politik und Staat auszuweiten, die auch ein Arsenal von Entdeckungsverfahren darstellen zum Auffinden und Aushandeln von Befriedungslösungen als Grundlage für friedliche Koexistenz und Kooperation in einer freien Gesellschaft. 

Stattdessen begeht Hayek den Fehler, die selbstorganisierenden und selbstregulierenden Aspekte einer freien Wirtschaft, die ihm schon als ausschließliches Vorbild für eine spontane Ordnung gedient hatten, als das Modell schlechthin für soziale Ordnung anzunehmen. A Fatal Conceit!


Fortsetzung folgt.

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