Thursday 18 February 2016

Das Paradoxon der Freiheit (7) - Ein Vortrag

Forsetzung des sechsten Teils.

Abträglich ist die einseitige Betonung selbstorganisierender Prozesse, wie sie in marktwirtschaftlichen Vorgängen zu beobachten sind, nicht nur, weil andere signifikante Faktoren, politische Einflussnahme und staatliche Rahmen-Gestaltung etwa, und deren Wechselwirkung mit den autopoietischen Abläufen  unberücksichtigt bleiben oder unterschätzt werden; abträglich ist sie auch für ein abgerundetes Verständnis des Wesens einer spontanen Ordnung.

Denn wir dürfen nicht vergessen, dass die menschliche Fähigkeit, auf eine spontane Ordnung bewusst einzuwirken, aus ihr zu lernen, sich ihr anzupassen und sie abzuwandeln, um größeren Nutzen aus ihr zu ziehen, ja selbst ein Evolutionsprodukt ist. Eingriffe in eine spontane Ordnung sind beileibe nicht per se immer schon dazu verdammt, Schäden und andere Nachteile hervorzurufen. Die menschliche Befähigung zu intervenieren ist Teil der Entwicklungsgeschichte und der evolvierten Leistungsmerkmale spontaner Ordnung. Unsere Spezies hat es gelernt, sich spontanen Ordnungen zuträglich anzupassen. Planvolle Gestaltung und Selbstorganisation sind keine natürlichen Gegensätze. Was die Menschheitsgeschichte betrifft, so stehen sie in einer Beziehung der Ko-Evolution zueinander. Gestalterische Eingriffe in eine spontane Ordnung sind nicht minder wichtig bei ihrer Erhaltung und fortlaufend verbesserten Nutzung als der Schutz spontaner Abläufe, vor unzuträglichen Eingriffen - wobei zu bedenken ist, dass nicht nur die Schutzoption bereits einen Anspruch auf Intervention beinhaltet, sondern auch, dass eine scheinbar nur punktuelle Schutzmaßnahme in Wirklichkeit untrennbar verkoppelt ist mit einem komplexen und äußerst umfangreichen System weiterer Interventionen, wovon hier beispielsweise nur die Institutionen der Steuererhebung und der Justizvollzugsapparat erwähnt seien - mehr hier. Das Laissez Faire genießt keinen höheren Rang als der Interventionismus; es gibt in Wirklichkeit keinen Wettbewerb um den gegenseitig ausschließenden Vorrang zwischen beiden Prinzipien. Kontext und Anlass entscheiden darüber, ob es ratsam ist, einzugreifen oder nicht.

Anthropologisch betrachtetet ist es gerade die Fähigkeit, sich innerhalb spontaner Ordnungen als kreatives und somit auch die vorgefundene Ordnung umwälzendes Wesen zu schöpferisch zu behaupten, was den Menschen von anderen Tieren unterscheidet. Der Mensch ist Mensch, indem er sich durch Erzeugung und angestrebte Befriedigung immer neuer Bedürfnisse an seine Umwelt anpasst. Es entspricht dem Wesen des Menschen, seine Umwelt umzugestalten, in die gegebene Ordnung experimentierend und zielstrebig einzugreifen. Menschliche Eingriffe in spontane Ordnungen sind wesenstypisch für unsere Spezies, erklären ihr Wesen und ihre Überlebensfähigkeit.


In allen Belangen, die das Leben und die Geschichte unserer Gattung betreffen gilt: wenn wir nur weit genug zurückschreiten, um einen großen Bildausschnitt in Augenschein zu nehmen, stellen wir fest, dass wir es mit einer spontanen Ordnung zu tun haben. Niemand hat das 20. Jahrhundert geplant. Keiner hat den Kapitalismus entworfen und dann umgesetzt. Dies sind Phänomene, die sich spontan herausgebildet haben. Doch ist damit nicht schon gesagt, dass planvolles Gestalten keine Rolle spielt bei der konkreten Ausformung dieser spontanen Ordnung und besonders bei der Entwicklung ihrer Auswirkungen auf den Menschen. Anpassungsgeschick zählt ja gerade dann besonders, wenn man nicht der Schöpfer aller maßgeblichen Bedingungen ist, sondern sich in ihnen einrichten muss. Das ist ein weiteres Argument, welches dafür spricht, dass gerade das Hineingeworfensein des Menschen in spontane Ordnungen seine Fähigkeit, auf die gegebene Ordnung in seinem Sinne einzuwirken, herausfordert, evolutorisch honoriert und im Laufe der Zeit immer stärker verbessert. Spontane Ordnung ist für den Menschen allemal Anlass zum Eingreifen, zum Umbauen, zum Manipulieren des Gegebenen.

Nehmen wir ein zeitgeschichtliches Beispiel. Es waren bewusste Eingriffe der Politik und der staatlichen Macht, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges über den Charakter und das Schicksal der alternativen spontanen Ordnungen (Gesellschaftstypen) in Westdeutschland und Ostdeutschland entschieden haben. Ludwig Ehrhard war sich über wichtige Unterschiede zwischen diesen Alternativen bewusst und hat sich gezielt für die, aus seiner Sicht und der der meisten Deutschen, bessere von beiden spontanen Ordnungen entschieden.


Fortsetzung folgt.

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