Wednesday 3 February 2016

Das Paradoxon der Freiheit - Ein Vortrag - (2)

Fortsetzung des ersten Teils.

Unter sozialdemokratischer Ägide entwickelt sich was man als Zivilgesellschaft bezeichnet - eine Gesellschaftsordnung, die auf den robusten Bedingungen der Freiheit fußt und damit auf den grundlegendsten Prinzipien des klassischen Liberalismus. Bevor wir gleich näher darauf eingehen, woraus diese robusten Bedingungen der Freiheit bestehen, richten wir den Blick kurz auf das "Endprodukt", dass mit ihrer Hilfe hervorgebracht wird: die moderne Zivilgesellschaft - eine Form des Zusammenlebens in bevölkerungsreichen Gemeinschaften, in denen der systematische Versuch unternommen wird, die Individuen und die von ihnen gegründeten Organisationen (Firmen, Verbände, Parteien etc) gegen willkürliche Übergriffe des Staats oder anderer Bürger zu schützen. Nicht willkürlich handelnde Menschen sollen herrschen, sondern das Recht - d.h. das Miteinander soll durch Festlegung und Durchsetzung sinnvoller Regeln für alle berechenbarer, angenehmer und aussichtsreicher werden.


Freiheit ist also das systematische Unterfangen, alle Bürger vor den Schäden und Nachteilen willkürlicher Übergriffe zu bewahren. Willkür ist insofern unwillkommen, als sie eine funktionierende Ordnung stört - die Ordnung der Zivilgeselleschaft, welche dafür sorgt, dass Bürger, die über ein historisch beispiellos hohes Maß an persönlicher Autonomie verfügen, einzigartig produktiv und friedlich zusammenleben. Nur bestimmte Regeln, Rechte und Pflichten - wie die Meinungsfreiheit, die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit etc (siehe Schaubild unten) - ermöglichen die Ordnung der Zivilgesellschaft. Ich gebe diesen unerlässlichen Merkmalen einer Zivilgesellschaft den Namen robuste Bedingungen der Freiheit. Denn ihre Einhaltung macht die Freiheit robust. Solange diese Bedingungen erfüllt sind, kommt die Freiheit nicht so leicht ins Wanken. Ein weiteres Kennzeichen der robusten Bedingungen der Freiheit besteht darin, dass sie für Ordnung sorgen, ohne den Menschen Vorschriften zu machen, was sie im einzelnen genau zu tun haben. In diesem Sinne ist die Zivilgesellschaft eine spontane Ordnung. Eingeschränkt nur durch relativ allgemeine Richtlinien, bleibt den Menschen viel Spielraum, ihren Neigungen und Vorhaben nachzugehen und durch das so entstehende freie Zusammenspiel eine allen zuträgliche Ordnung zu erzeugen, die von niemandem ersonnen und verfügt worden ist.  


Das Phänomen spontaner Ordnung wird zu einer grundlegenden Einsicht für die Deutung moderner Gesellschaftsformen. Die volkreichen, hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaften der Moderne sind darauf angewiesen, dass sich das Zusammenleben der Menschen in vielfacher Hinsicht zu einer spontanen Ordnung einspielen kann, die ohne bewusste Lenkung auskommt. Wie bei einem Fischschwarm, der ein geordnetes Gebilde ergibt, auch wenn die Gesamtstruktur, die Kugel im Bild unten, ohne bewusste Planung und Lenkung, nur als das Resultat der Befolgung bestimmter Regeln zustandekommt.


Es ist nicht falsch zu behaupten, dass
  • (a) die Erkenntnis spontaner Ordnungsbildung im menschlichen Miteinander 
 zusammenfällt mit
  • (b) der Entdeckung des Evolutionsparadigmas (zunächst in den Phänomenen der menschlichen Kultur - Geld, Sprache, Moral, Recht etc. - und erst später in der außermenschlichen Natur) 
und ebenso auch mit
  • (c) der Selbstentdeckung der Evolution - 
denn die Evolution hat sich nach Milliarden von Jahren derartig differenziert, dass sie in der Lage ist, sich in Gestalt der ersten gesellschaftstheoretischen Modelle ein Bild von sich selbst zu machen.

Für die moderne freiheitliche Auffasung vom meschlichen Zusammenleben in sehr großen sozialen Einheiten, die oftmals viele Millionenen Mitglieder umfassen, ist es von ausschlaggebender Bedeutung zu erkennen, dass zwar manches bewusst zu regeln ist, vieles aber, was diesen neuen Gesellschaften Zusammenhalt, Leistungsfähigkeit und Lebenskomfort verleiht, darauf beruht, dass sich in ihnen Ordnung bilden kann durch bloße Regelbefolgung, im Gegensatz zu spezifischer, bewusst und zentral verordneter Setzung von Zielen und Umsetzungsstrategien. Das Anpassungsvermögen und die hohe Leistungsfähigkeit einer modernen Gesellschaft lebt davon, dass sie sich (auch in umfangreichem Maße) spontan ordnet, im Sinne evolutionärer Prozesse.



Von 1700 bis heute, 2016, von John Locke bis Friedrich Hayek und seinen zeitgenössischen Anhänger, hat das Phänomen spontaner Ordnung in menschlichen Belangen die Denker der Freiheit in ihren Bann gezogen. Mit gutem Grund, wie wir gleich in Teil 3 sehen werden. Doch zuvor ein kurzer Überblick, der zeigen soll, dass spontane Ordnung ein Denkmuster darstellt, das alle liberalen Denker über eine Periode von 300 Jahren verbindet.

David Hume gehört zu den Entdeckern der Evolutionsprinzips in menschlichen Angelegenheiten, wie ersichtlich in seinem philosophischen Hauptwerk, dem Treatise On Human Nature, in dem er eine evolutionäre Theorie der Moralbildung, des Rechts und der Justiz sowie des gesellschaftlichen Zusammenhalts vorlegt. Der Mensch ist für sein Überleben in einem angemessenen sozialen Umfeld nicht nur auf seine Instinkte und seine Fähigkeit zu denken angewiesen, sondern mindestens ebenso auch auf sein Vermögen, Regeln zu folgen - Regeln, die sich evolutionär herausgebildet und sich als zweckmäßig für den Überlebenserfolg erwiesen haben. Sie sind das Grundgerüst spontaner Ordnung und dürfen nicht verletzt werden, wenn die Leistungsfägigkeit der auf ihr beruhenden sozialen Ordnung nicht beeinträchtigt werden soll.

Am geläufigsten ist uns wohl die Variante spontaner Ordnung, die uns Adam Smith anhand seiner "unsichtbaren Hand" vorstellt. Er lehrt uns, dass wir getrost jenen Interessen und Zielen nachgehen mögen, die uns persönlich besonders naheliegend erscheinen. Solange wir uns bei der Verfolgung unserer ureigensten Anliegen an bestimmte Regeln halten, wird eine zuträgliche Gesamtordnung enstehen, die sich zudem dadurch auszeichnet, dass wir, die eigenen Interessen vornehmlich im Auge, durch unser Tun dennoch Anderen und der Gesamthgeit dienen. Wie die Metzger, die uns mit Fleisch versorgen, nicht weil sie uns lieben, sondern weil es zu ihrem eigenen Vorteil ist, Waren von solcher Qualität und solchem Wert anzubieten, dass wir sie zu erwerben trachten und damit den Metzgern zu Gewinn und Wohlstand verhelfen.

Selbst schon bei John Locke, der noch nichts von Evolution gehört haben dürfte, ist die Vorstellung voll entwickelt, wonach die Befolgung geeigneter Regeln zu einer Gesamtordnung führt, die kein menschlicher Geist hätte entwerfen können. Locke glaubt, dass dem Menschen ein Lebenssinn gegeben ist, nämlich zu handeln gemäß der Natur, die Gott dem Menschen verliehen hat. Folgen wir den Gesetzen der menschlichen Natur, so erfüllen wir den Willen Gottes. Wir führen ein gerechtes Leben. Eine Gesellschaft von Menschen, die derart handeln, begünstigt eine gottgefällige Ordnung.

Im 20. Jahrhundert wird der Terminus spontane Ordnung vor allem durch die Arbeiten von Friedrich Hayek bekannt, der den Ausdruck freilich von Michael Polanyi übernimmt. Hayek erwirbt sich beträchtliche Verdienste bei der Untersuchung der Frage, wie Informationen durch dezentrale Einheiten, nichtzuletzt durch Bürger einer freien Gesellschaft, erhoben, verteilt, ausgetauscht, ausgewertet und genutzt werden, so dass in diesem kollektiven Prozess mehr brauchbares Wissen verwendet wird als dies jeder daran beteiligten Person alleine möglich wäre.

Wenn wir bestimmte Regeln beherzigen, gelangen wir in den Besitz von wichtigen, jedem Einzelnen und allen zusammen nützlichen Informationen, die uns unzugänglich bleiben müssten, falls wir uns diesen Regeln nicht unterwerfen würden. Der wirtschaftliche Wettbewerb veranlasst uns, Bedarfe, Kosten, Nutzen, Preise und andere Informationen zu erheben und auszutauschen, die uns alle besser stellen, jedoch erst durch Teilnahme an einem regelgebundenen Spiel überhaupt verfügbar werden.


Fortsetzung folgt.

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